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Die Stadt als Beute

Dienstag, 17. August 2010, geschrieben von Mimi Müller

Gestern habe ich mit “zu Hause” telefoniert. Wir haben lange geredet. Über das, was unseren Gästen vor bald einem Monat geschah, über das, was den Duisburgern bis heute geschieht. Was sie fühlen. Es war bedrückend, das Gespräch, beklemmend, die Trauer, die Fassungslosigkeit, die Sprachlosigkeit darüber, daß niemand von den Verantwortlichen begreift, was geschah und geschieht, was er möglich gemacht hat und macht, kein Rücktritt, von niemanden und darüber hinaus vom eigenen Oberbürgermeister in so eine Art Haft genommen zu werden. Er geht nicht. Wir bleiben seine Gefangenen.  Ohnmacht. Vor allem: Trauer und Ohnmacht. .. Sie gingen alle weiter zum Tunnel, die Duisburger, erzählte meine Freundin, immer seien dort Menschen, Kerzen, Blumen. Niemand käme zur Ruhe… Dann erzählte sie von dem Samstag, als die Trauerfeier war, wie ausgestorben die Stadt gewesen sei, wie menschenleer. Wie gespenstisch. Dass die Trauer der Duisburger schon damals keine Beachtung fand, dass sie “außen vor”  bleiben sollte, weit draussen, in der Wedau… Dass nichts mehr so sei wie vorher, sagte sie. Und dass es nie wieder so sein könne…Dass man  keine Ruhe mehr fände…

Das alles ist schrecklich. So schrecklich, daß man keine Worte findet. Nur einer redet seit Sonntag unablässig und er redet immer dasselbe:  Ich trete nicht zurück, sagt Sauerland. Er sagt es im Spiegel, er sagt es dem WDR, er sagt es im Deutschlandfunk und der Rheinischen Post. Er auf allen Kanälen, in allen Blättern. Er ist wieder unterwegs, der Oberbürgermeister, heute Morgen dann das nächste Interviewe, Hier, wieder  im Spiegel. Lesen Sie erstmal….

Ich bin immer noch nicht ganz fertig damit, mit dem Lesen. Vielleicht geht es Ihnen ähnlich. Ich kann das nicht mehr ertragen. Ich brauche immer größere Pausen. Und mit jedem Interview, das er gibt,  wird er ein Stück mehr so, wie früher, so, wie wir ihn kennengelernt haben, in all den Jahren:   unbelehrbar, ignorant, selbstgefällig.  Jetzt ist aus Selbstgefälligkeit überwiegend Selbstmitleid geworden, aber hin und wieder blitzt sie doch schon wieder auf, die alte Begeisterung für das eigene Selbstbild. Noch 3, 4 Interviews und er hat die Krise überwunden.

Am liebsten würde ich Ihnen die ganzen Text  analysieren, die Worte, Sätze, was er da sagt, ich würde sie gern zerpflücken, Satz für Satz – und all jenen um die Ohren hauen, die immer noch nicht bereit sind, ihrem Parteifreund  Grenzen aufzuzeigen. Nibelungentreue. So nennt man das doch, nicht wahr? Es ist nie  Gutes daraus erwachsen.

Ich…Ich….Ich…. ein “Wir”, nur wenn es darum geht, sich hinter anderen zu verstecken.

Dann dieser Satz hier, befragt nach seinem Handeln während des Unglückes, wo er ja vor Ort war.

Sauerland: Da Sie als Oberbürgermeister keine Rolle im Krisenstab haben, können Sie auch nicht eingreifen. Ich kann in so einer Situation doch nicht als “local hero” auftreten.  Wer so etwas verlangt, verlangt etwas Unmögliches.

Unmögliches? Ich lebe in Hamburg. Einer Stadt, in der Zehntausende ihr Leben einem Menschen verdanken, der sich unaufgefordert an die Spitze eines Krisenstabes setzte und Maßnahmen in die Wege leitete, zu der in keiner Weise befugt war. Und der später darüber sagte:  ” Ich habe in jenen Stunden nicht nach Gesetzen gefragt.”.

Das macht einen großen Staatsmann, einen großen Politiker, einen großen  Menschen aus:  dass er gerade in den allerschlimmsten Zeiten Verantwortung übernimmt und trägt, dass er  für die Menschen, für ihr Leib und Leben, ihr Wohlergehen alles tut,  was in seiner Macht steht – und auch, was nicht darin  steht, er aber auf Grund seiner ganzen Persönlichkeit zu tun vermag.

Auch hier hat sich die Welt völlig verkehrt:  Heute werden die Gesetze alltäglich ignoriert, wird ausnahmegenehmigt, wird Unmögliches ohne mit der Wimper zu zucken, möglich gemacht, wenn es um Wirtschaftsinteressen, Gewerbeansiedlungen, kurz: wenn es um Geld geht. Da braucht es nur einen innigen Wunsch. Und da gibt man dann auch gerne den Local Heroe und versäumt nicht, die Presse dazu einzuladen: Was ein Investor verlangt ist niemals unmöglich…

Was wir  erleben , hier,  jetzt,  seit Tagen und Wochen,  das ist klein, ist armselig, ist erbärmlich. Von Größe keine Spur. Nicht staatsmännisch. Nicht politisch. Nicht menschlich.

Und nach und nach melden sich nun auch noch alle zu Wort, die abgetaucht, die in Urlaub waren, die sich “parteitaktisch” auf “die veränderte Situation” einstellen, sich “richtig aufstellen” mussten.  Wohlwissend, daß ein Neuanfang unabdingbar sein wird, bringt man sich schon mal in Stellung für den nächsten Wahlkampf.  Den die CDU nicht will, weil Sie weiss, was sie das alles kosten wird, was sie uns an Verweigerung  zu Teil hat werden lassen. Weshalb sie an Sauerland festhält, wie an einem Strohhalm…

Die Stadt als Beute. Kein Trost weit und breit. Eiszeit.  Wir sind allein.

Tee. Spaziergang.